Interview Mathias Wehr

Hallo Mathias Wehr! Schön, dass du in der wunderschönen Wetterau angekommen bist. Wir haben einige Fragen. Wir freuen uns sehr, dass du dich bereit erklärt hast, mit der Stadtkapelle Karben zusammenzuarbeiten und ein Werk für uns zu komponieren. Wir sind schon sehr aufgeregt und gespannt auf das Stück. Hier sind nun einige Fragen:

Zunächst einmal herzlichen Dank für die Einladung. Ich möchte natürlich gerne die kommenden Fragen beantworten. Wie bin ich zur Musik gekommen? Das ist eine spannende Frage. Es gibt eigentlich keinen bestimmten Zeitpunkt, an dem man sagen kann, dass meine Leidenschaft und Liebe zur Musik entstanden ist. Ich glaube, es handelt sich einfach um einen schrittweisen Prozess, das Musizieren zu lieben. Alles begann für mich mit dem klassischen Blockflötenunterricht im zarten Alter von vier Jahren. Obwohl ich dabei eine Menge Spaß hatte, begann ich dann, mich für die Klarinette zu interessieren. Die wirklich fesselnde Phase begann jedoch, als ich mich den Ensembles und Blasorchestern anschloss. Das gemeinsame Musizieren in der Gruppe war wohl der Wendepunkt, an dem ich mir dachte: Wow! Jetzt habe ich wirklich meine Liebe und Leidenschaft zur Musik gefunden. Ich wünsche jedem da draußen, dass auch sie eines Tages diese Entdeckung für sich machen. Musik gemeinsam mit anderen zu machen, ist von großer Bedeutung! Welche Instrumente kann ich spielen? Ich habe ein Musikstudium als Klarinettist absolviert und mich nebenbei auch mit Saxophon und Querflöte beschäftigt. Selbstverständlich war auch das Klavierspiel eine Voraussetzung für meine Aufnahmeprüfung an der Hochschule. Außerdem spielte ich aus Leidenschaft noch Gitarre, da mein Vater ebenfalls Gitarrist war. Dazu kam meine Begeisterung für die Panflöte, obwohl ich keinen Panflötenlehrer an meiner Hochschule finden konnte. Daher entschied ich mich für die Klarinette. Nebenbei habe ich auch Freude daran, Dudelsack zu spielen, und während meines Aufenthalts in Australien habe ich mir sogar ein Didgeridoo zugelegt. Das sind meine exotischen musikalischen Aktivitäten.
Ich habe vor etwa sechs bis sieben Jahren damit begonnen. Irgendwie überkam mich damals die Lust, es einfach mal auszuprobieren. Mein erster Versuch war ein etwa zehnminütiges Werk namens „Phoenix“. Dieses wurde dann vom Orchester uraufgeführt, das ich zu der Zeit geleitet habe. Es war ein unglaublicher Moment, als ich die Musik, die in meinem Kopf entstanden war, vom Orchester gespielt hörte. Kaum jemand kann dieses Gefühl wirklich beschreiben. Sobald man es einmal erlebt hat, wird es fast wie eine Sucht. Man möchte dieses Erlebnis immer wieder haben, Neues erfinden und es dann hören. Deshalb kann ich bis heute nicht aufhören.
Das geschieht tatsächlich sehr oft. Meine Freundin kann ein Lied davon singen. Manchmal stehe ich plötzlich vom Sofa auf, und sie merkt, dass mir wieder eine Inspiration gekommen ist. Oder ich antworte ihr drei Minuten lang überhaupt nicht, und sie muss mich dann fragen, worüber ich gerade nachdenke. Dann sage ich, dass ich gerade den Abschluss eines Stücks komponiert habe. Der Prozess arbeitet in meinem Kopf, und ich bin in diesem Moment nicht wirklich anwesend, sondern eher völlig abwesend.

Die Frage ist tatsächlich äußerst interessant. Ich probiere so lange verschiedene Melodien oder Akkordfolgen am Klavier aus, bis mir eine gefällt. Dies kann durchaus eine Weile dauern, da ich nicht gleich die erste Akkordfolge wähle. Ich experimentiere weiter und weiter, und manchmal landen Wochen an Arbeit einfach im Müll, weil sie mir nicht zusagen. Dann fange ich von Neuem an und setze den Prozess fort, bis ich zufrieden bin. Interessanterweise landen Melodien, die ich ursprünglich als die Hauptmelodie gedacht hatte, manchmal nach drei Wochen als Nebenmelodie in einem Zwischenteil. Es ist auch schon oft vorgekommen, dass Nebenmelodien, wie eine einfache Basslinie zum Beispiel, sich weiterentwickeln und immer wichtiger werden, bis sie schließlich zum Hauptmotiv werden. Ein gutes Beispiel dafür ist Destination Proxima Centauri B mit den ersten drei Tönen auf der Flöte (singt) A, C, H. Anfangs sind es nur drei Töne, aber am Ende entfalten sie sich mit voller Pracht und Größe – wie ihr euch erinnern könnt – und das passiert einfach, ohne dass man das genau erklären kann, warum das so ist.

Es ist immer eine Herausforderung, den eigenen Musikstil zu beschreiben. Jedoch habe ich von vielen anderen gehört, dass meine Musik einen starken epischen Charakter hat, sehr sinfonisch und konzertant. Anfangs fand ich es ein wenig seltsam, in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden, da ich das eigentlich vermeiden wollte. Inzwischen bin ich jedoch in einer Phase, in der ich akzeptiere, dass diese Beschreibung zutrifft, und ich stehe zu diesem Stil in meiner Musik. Daher finde ich es in Ordnung, meine Musik auf diese Weise zu beschreiben.
Das ist korrekt. Die Frage ist, ob man immer seinem eigenen Stil treu bleiben muss. Man sollte zu dem Stil stehen, den man wirklich vertritt. Ich hätte zum Beispiel Aleatorik einbauen können, um einen sphärischen oder mystischen Klang zu erzeugen. Ich hatte sogar darüber nachgedacht, solche Elemente einzufügen, aber ich habe recht schnell erkannt, dass es einfach nicht zu mir passt. Es wäre nur gekünstelt gewesen und nicht authentisch. Ich bleibe lieber bei dem, was ich kann und was mir gefällt. Das ist meine Art zu komponieren. In der Regel erkennt man meinen Stil an den Akkorden und Akkordfolgen, die mir gefallen und die einen gewissen Wiedererkennungswert haben. Wenn ich komplett ausbrechen und meinen Stil verändern würde, frage ich mich manchmal: Brauche ich das? Braucht die Musik das? Kann sie nicht bereits von Grund auf schön sein, sodass die Menschen sagen, dass es ihnen gefällt? Es bedarf keiner Extravaganz oder übermäßigen Stilbruch.
Der eigene Stil ist etwas, mit dem man sich im Laufe der Jahre identifiziert. Man legt ihn nicht bewusst fest oder sagt: „Ich werde in dieser Art komponieren.“ Es ist ein langwieriger Prozess, in dem man mit der Zeit erkennt, in welche Richtung es geht, was einem gefällt oder nicht, was man als interessant empfindet oder nicht. Irgendwann findet man seinen eigenen Weg. Es hat bei mir ziemlich lange gedauert, bis ich meinen Weg gefunden und dazu gestanden habe. Heute kann ich sagen, dass ich diesem Stil treu bleibe, auch wenn er nicht unbedingt bahnbrechend neu ist. Doch das war nie meine Absicht oder meine Inspiration.
(Mathias lacht!) Es ist immer schwierig, sich selbst zu beurteilen. Ich glaube, ja, und zwar in verschiedenen Aspekten. Wenn ich mein allererstes Stück Phoenix betrachte, muss ich zugeben, dass ich es heute nicht mehr so instrumentieren würde, wie ich es damals getan habe. Wenn ich mir heute die Partitur anschaue, denke ich manchmal, dass ich das Stück neu instrumentieren müsste. Ich habe bereits mit vielen Komponisten darüber gesprochen und gefragt, ob sie so etwas tun. Die meisten haben dies jedoch verneint. Man sollte es ruhen lassen. Es gehört der Vergangenheit an und sollte nicht erneut überarbeitet werden, da es sonst dazu führen kann, dass alle Stücke gleich klingen. Daher sollte man Dinge abschließen und sagen: Ich würde es heute nicht mehr so machen, aber es ist Vergangenheit. Vielleicht werde ich in zwanzig Jahren tatsächlich zurückblicken und sagen: Bei Destination Proxima Centauri B habe ich hier und da Dinge gemacht, die ich heute anders machen würde, insbesondere bei den Klarinetten. (lacht)

Das ist ganz einfach. Es gab eine Ausschreibung für einen Kompositionswettbewerb auf Korfu in Griechenland. Ich dachte mir: Korfu? Das klingt großartig, ich bin dabei! Das war meine Motivation, mich zu bewerben. Dann habe ich ein Stück geschrieben und es Throne of the North genannt. Ich hatte schon immer den Wunsch, etwas in Richtung Mittelalter und Wikinger zu komponieren, also habe ich es umgesetzt. Ich habe kurz überlegt, ob ich es Throne of the South nennen sollte, aber das konnte ich nicht aussprechen. Daher entschied ich mich für Throne of the North. Das klang einfacher. (lacht)
Dann erhielt ich tatsächlich den Anruf, dass das Stück es ins Finale geschafft hatte und ich nach Korfu fliegen durfte. Das war genau das, was ich wollte. Ich verbrachte vier Tage auf Korfu und hatte eine großartige Zeit mit den Griechen, die mein Werk im Theater uraufführten. Es war einer dieser Momente, in denen ich vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Ich kam im großen Finale an, in einem riesigen Theatersaal, voller Menschen, mit meinen Mitbewerbern neben mir. Ihre Stücke wurden auch aufgeführt. Dann hörst du dein Stück zum ersten Mal auf der Bühne während des Konzerts. Zum ersten Mal! Das war ein herausfordernder Moment für mich, weil ich am liebsten auf die Bühne gegangen wäre und dem Dirigenten den Taktstock aus der Hand genommen hätte! Ich hätte gerne gesagt: „Lass mich das mal machen!“ An dieser Stelle etwas schneller, dort etwas langsamer. Hier hätte ich gerne dies und das gehabt, und dort hat er den Einsatz verpasst. Es war schwierig. Man sitzt da und ist total angespannt, denkt aber gleichzeitig: Ich hoffe, das wird großartig gespielt! Aber die Griechen haben das großartig gemacht, und seitdem wird das Stück oft aufgeführt.

Ich würde sagen, ich bin im Grunde ein Programmmusiker. Das heißt, ich schreibe Musik mit einem klaren Programm oder einer Geschichte im Hinterkopf. Anders als einige Komponisten, die beispielsweise eine Sonate ohne spezifisches Programm schreiben, versuche ich, eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte wird dem Publikum oft schon ein Stück weit vorgegeben, indem ich erkläre, worum es in der Musik geht. Dennoch finde ich es nicht unbedingt entscheidend, dass das Publikum die Geschichte im Detail versteht. Wenn die Musik ohne das Programm nicht als schön oder beeindruckend empfunden wird, habe ich wahrscheinlich etwas falsch gemacht. Die Musik sollte für sich selbst sprechen können und das Programm sollte nur eine zusätzliche Ebene sein. Wenn die Zuhörer die Geschichte verstehen, ist das natürlich eine Bereicherung, aber die Musik selbst sollte stark genug sein, um unabhängig davon genossen zu werden. Das ist mir wichtig.
Die Improvisation spielt eine große Rolle in meiner Arbeit als Komponist. Tatsächlich besteht ein Großteil des Komponierens darin, zu improvisieren. Ich nehme eine Akkordfolge und improvisiere Melodien darüber, bis ich eine finde, die mir gefällt. Das gleiche mache ich mit weiteren Melodien und Harmonien. Das Improvisieren ist also ein ständiger Teil meines Schaffensprozesses. Man könnte sogar sagen, dass das Komponieren im Wesentlichen improvisieren ist. Es ermöglicht mir, kreativ zu sein und neue musikalische Ideen zu entwickeln.

Damit schließen wir das lange Interview ab. Herzlichen Dank, Mathias, für deine Zeit und deine Einblicke!

Interview mit Mathias Wehr vom 17. Juni 2023, durchgeführt von Lara Kraft, Robert Koch und den Mitwirkenden Claus Carsten Behrendt, Susanne Galisch und Mathias Prediger