Im neu zusammengestellten Sommerprogramm des Sinfonischen Blasorchesters finden sich einige Stücke, die durch Stefan Schwalgin für Blasorchester arrangiert wurden. Um mehr über den Menschen und Komponisten Stefan Schwalgin sowie seiner musikalischen Arbeit zu erfahren, haben wir Stefan um ein Interview gebeten.
Wie vermutlich bei jedem professionellen Musiker bereits in der Kindheit. Ich entstamme zwar einem zutiefst unmusikalischen Elternhaus, aber irgendetwas in meinen Genen muß die Neigung zur Musik befördert haben. Nach der Blockflöte im Grundschulalter kam die Klarinette, danach andere Blasinstrumente, die ich allesamt autodidaktisch erkundet habe.
So mit 13, 14. Auslöser dürfte wiederum eine gewisse Anlage gewesen sein, außerdem eine gewisse Form jugendlichen Leichtsinns, d. h. die ergebnisoffene Bereitschaft, mich auf dieses unbekannte, interessant erscheinende Feld locken zu lassen. Nicht unerheblich war sicherlich auch die Tatsache, daß ich mir in meinem (wiegesagt wenig musikalischen) Umfeld auf diese Weise ein eigenes persönliches Terrain erschlossen habe, in dem mir niemand – und schon gar kein Erwachsener! – hineinzureden wagte.
Ganz klar: „Le sacre du printemps“ von Stefan Schwalgin – äh, ich meine natürlich von Igor Stravinsky.
Tatsache ist, daß – einem bekannten Bonmot des Erfinders T. A. Edison zufolge – kreatives Schaffen zu 99 Prozent aus „Transpiration“ (also aus handwerklicher Fleißarbeit) und nur zu einem Prozent aus Inspiration besteht. Sofern also Inspiration überhaupt zum Tragen kommt, überlasse ich mich ganz ohne nachzudenken dem Augenblick. Die Idee kommt dann von ganz allein, denn wahre Inspiration entstammt der grundlosen Tiefe des Seins und hat keinerlei Ursache. Deshalb hilft es auch nicht wirklich, sich in einer Sternennacht ein Glas Rotwein einzuschenken, eine Kerze anzuzünden und sich von der Muse küssen zu lassen. Solche Geschichtchen klingen zwar hübsch, haben mit der Realität aber meist wenig zu tun.
Das sollten eigentlich andere beurteilen, weil hierzu eine gewisse Außensicht vonnöten ist. Wer seit jeher in einem bestimmten Haus sitzt, ist nicht in der Lage, dessen äußeres Erscheinungsbild – und so würde ich den Begriff des Stils hier auffassen – wiederzugeben. Was ich immerhin aus der ‚Innenansicht‘ heraus hervorheben kann, ist mein prinzipielles Interesse an interessanter, reichhaltiger Harmonik. Als meine musikalischen ‚Paten‘ in dieser Hinsicht sehe ich Richard Wagner und Duke Ellington. Dies mag, rein äußerlich betrachtet, ein sehr ungleiches Duo sein, hat aber auf harmonischem Gebiet durchaus seinen Sinn.
Falls die freundliche Unterstellung stimmt, daß ich mich nicht ständig wiederhole, dann ist dies kein bewußter Akt. Naturgemäß hat jedes Projekt seine eigenen Herausforderungen, Charakteristika und Facetten. Wenn man diesen jeweils mit offenen Augen begegnet und bei auftauchenden musikalischen Fragen nicht reflexartig zu bewährten Schemata greift, dann sollte sich die Abwechslung hoffentlich von selbst einstellen. Andererseits trägt eine teilweise nicht zu vermeidende Gleichartigkeit fraglos zu dem bei, was man als einen (erwünschten) Personalstil ansieht und wonach unmittelbar zuvor gefragt wurde.
Nein, keine bestimmten. Sie wechseln, je nach Richtung und Stil eines bestimmten Werks. Dabei wird sukzessive, also von Stück zu Stück, ein hoffentlich breites Spektrum an Themen und Emotionen wirksam.
Sie ist in der Tat von zentraler Bedeutung. Allerdings fällt die „Balance“ eindeutig zugunsten der Tradition aus. Man muß sich vor Augen halten, was ich tue: nämlich Noten für einen breiten Markt von Amateurblasorchestern zu schreiben und dabei bestimmte (berechtigte) Erwartungen und Bedürfnisse der Musikvereine zu bedienen. Ein Stück Kunstmusik wie das zuvor erwähnte „Sacre du printemps“ von Stravinsky enthält trotz seiner Entstehungszeit von vor über hundert Jahren ein Maß an Innovation, das jedes bei uns gebotene Maß sprengen würde. Insofern darf ich stets von neuem ausloten, wie viel an Neu- und Andersartigem ich Musikern und Publikum zumuten darf. Dabei bediene ich mich tradierter musikalischer Sprachen, deren Kenntnis ich bei den Rezipienten voraussetzen kann, etwa Filmmusik zu klassischen Zeichentrickfilmen oder solche zu Krimi-Serien, Charleston-Musik der 20er Jahre, Swing-Musik der 40er Jahre, Bossa Novas der 60er, Disco-Musik der 70er usw. usf. Als versierter Schreiber sollte man genau wissen, woher man was warum nimmt und bewußt und gekonnt mit den diversen Ausdrucksformen jonglieren. Daher halte ich persönlich auch wenig von dem in unserer Szene zur Norm gewordenen Etikettenschwindel, stereotype Klangmuster vorwiegend heroischer Hollywood-Filme zu adaptieren und dies dann als vermeintliche Kunst- oder Konzertmusik auszugeben. Lustigerweise wissen dabei zumeist nicht einmal die Komponisten selbst, was sie da eigentlich tun.
Ich schreibe Noten für nicht öffentlich subventionierte Musikverlage, die angesichts einer aufwendigen Produktion (inklusive einer professionellen Demo-Aufnahme) wirtschaftlich auf einen nennenswerten Verkauf angewiesen sind. Folglich bin ich gehalten so zu schreiben, daß es das Käuferpublikum anspricht. Das soll indessen nicht heißen, daß dem rein finanziellen Erfolg alles andere untergeordnet wird. Derart merkantil geht es in meinem ‚Hausverlag‘, dem Musikverlag RUNDEL, glücklicherweise nicht zu. Vielmehr ist es eine immer wieder faszinierende Herausforderung in meinem ‚Job‘, eigene künstlerische Vorstellungen mit den Geboten des Marktes unter einen Hut zu bringen. Rein kommerziell zu schreiben, wäre relativ leicht, ebenso wie ausschließlich seinen persönlichen Neigungen zu folgen. Wenn man aber schließlich einen Verkaufserfolg erlebt und dabei ein Stück Musik geschaffen hat, das man sich auch selbst gerne privat anhören würde, dann ist das sehr befriedigend.
Improvisation spielt nur und genau dann eine Rolle, wenn sie effektiv in der Musik auftaucht – sprich: wenn es darum geht, einen improvisatorischen Jazz-Chorus auszunotieren. Dann werfe ich jede Planung über Bord und schreibe den Chorus in einem Zug von Anfang bis Ende durch. Zwar nicht so schnell wie bei einer Live-Improvisation, dafür ist das Schreibtempo zu gering, aber doch ganz anders als bei einem reflektierten konstruktiven Vorgehen im Rahmen eines ‚normalen‘ Arrangements. Auf diese Weise gelangt etwas von der Spontaneität einer Improvisation in die notierte Musik.
Herzlichen Dank, Stefan, für deine Zeit und deine Einblicke!